Artikel

Digital überall, für jeden

Ivo Ivanov, Geschäftsführer DE-CIX International 

Eine neue Ära der Interconnection

Wir stehen am Beginn einer neuen Ära der Digitalisierung – einer neuen Ära der Interconnection–, in der digitale Anwendungen und Dienste überall und für jeden unerlässlich sein werden. Das Jahr 2021 läutet das spannendste digitale Jahrzehnt seit dem Boom des kommerziellen Internets ein. Die digitale Wirtschaft ist endgültig zum Rückgrat des künftigen Wirtschaftswachstums geworden, und kein Sektor kann es sich leisten, die Digitalisierung nicht auf der Agenda ganz nach oben zu setzen. Es steht nicht mehr zur Debatte, ob man sie anstreben sollte, sondern es geht um die Geschwindigkeit der Umsetzung. Und zwar je schneller, desto besser.

Alle Bereiche des Geschäfts- und Privatlebens sind heute stärker als je zuvor auf digitale Anwendungen angewiesen. Diese haben in den letzten Monaten ihre Relevanz bewiesen und ihren festen Platz in unserem beruflichen und privaten Leben gefunden. Aber auch jenseits von Desktops und Videostreaming machen bestimmte digitale Anwendungen und Dienste große Fortschritte, von E-Health- über hochentwickelte Logistik- und Mobilitätsanwendungen, bis hin zu Anwendungen im Finanzsektor. Dieser Wandel wurde zwar nicht durch die Covid-19-Pandemie verursacht, aber immens beschleunigt. Die Digitalisierung von Unternehmen wird einer der Schlüsselfaktoren für das künftige Wirtschaftswachstum sein.

Eine Gemeinsamkeit gibt es jedoch zwischen all diesen unterschiedlichen Anwendungen, die mit den rein physikalischen Eigenschaften der Lichtgeschwindigkeit zu tun hat. In der digitalen Infrastrukturbranche nennen wir dies "Latenz".

Latenzzeit ist die neue Währung

Latenz hat mit Reaktionszeiten zu tun – der Zeit, die benötigt wird, um Daten zur Verarbeitung oder zur Analyse zu übermitteln und eine Reaktion oder ein Ergebnis sichtbar werden zu lassen. Vereinfacht ausgedrückt ist dies die Ursache für die Verzögerung, die wir bei Videokonferenzen und Anrufen über sehr große Entfernungen erleben. Die Latenzzeit ist ausschlaggebend für die Zeit, die bei Online-Einkäufen für die Registrierung einer Transaktion benötigt wird; die für eine reibungslose Reaktion und ein gutes Nutzererlebnis bei Anwendungen, die in der Cloud gehostet werden, sorgt; für die Zeit, die vergeht zwischen der Ausführung eines Manövers in einem Online-Spiel und der Wahrnehmung des Ergebnisses durch das Gegenüber. Eine niedrige Latenz ermöglicht es, hochauflösende Online-Sportübertragungen in Echtzeit zu genießen und die Vorteile der modernen Bildung im Rahmen von Hybridunterricht zu nutzen.

Und das ist alles nur aus der Perspektive des Nutzers betrachtet. Aus geschäftlicher Sicht kosten Latenzprobleme Geld. Die Produktivität im Zusammenhang mit virtuellen Desktops, Konferenz- und Videogesprächen und all dem, was die Arbeit von zu Hause mit sich bringt, hängt von einer leistungsstarken Verbindung ab.

Aber auch industrielle Aktivitäten wie Remote-Robotik, KI-gestützte Forschung und Entwicklung und die Fortschritte bei der Produktentwicklung des vernetzten Autos wären undenkbar ohne die Leistung, Sicherheit und Resilienz, die mit der geringstmöglichen Latenzzeit einhergeht. Die Latenzzeit bei digitalen Diensten und Anwendungen wirkt sich somit direkt auf den Umsatz aus. 

Digital everywhere 1
Abbildung 1: Die Latenzzeit ist entscheidend für die Performance von allgemeinen und kritischen Anwendungen.

Latenzzeit – die Lebensader in der digitalen Welt

Niedrige Latenzzeiten sind jedoch nicht nur ein Qualitätsmerkmal und eine Produktivitätsgarantie, sondern auch eine Rettungsleine: bei Echtzeitreaktionen, die für kritische E-Health-Anwendungen erforderlich sind; bei der Zeit, in der Sensoren eines Autos eine Gefahr erkennen und ein Ausweichmanöver berechnen oder ein Warnsignal an den Fahrer senden. Aber auch für den Finanzhandel und für anspruchsvolle E-Manufacturing-Systeme sind sehr geringe Latenzzeiten unerlässlich.

Solche kritischen Anwendungen stellen hohe Anforderungen an die Performance und die Resilienz bzw. Sicherheit, die wiederum ebenfalls sehr eng mit der Latenzzeit zusammenhängen. Was die Performance angeht, so benötigen die Anwendungen Antwortzeiten im niedrigen Millisekundenbereich. Kritische Anwendungen beinhalten auch hochsensible Daten – seien es Geschäftsgeheimnisse oder persönliche Gesundheitsdaten –, die in einer sicheren Umgebung geschützt werden müssen. Daher benötigen sie ein sehr hohes Maß an Resilienz und Sicherheit, um eine nahtlose Datenübertragung zu gewährleisten.

All dies führt zu einer wichtigen, zukunftsweisenden Erkenntnis: Wenn es um Qualität und Infrastruktur-Services geht, ist die Latenzzeit die neue Währung.

Die maximale Latenzzeit, um eine angemessene Endbenutzererfahrung mit den heutigen allgemein genutzten Anwendungen zu gewährleisten, liegt bei etwa 65 Millisekunden. Um ehrlich zu sein, ist jedoch eine Latenzzeit von höchstens 20 Millisekunden erforderlich, um all diese täglichen Aktivitäten mit einem optimalen Leistungsniveau durchzuführen. Übertragen auf die Entfernung bedeutet dies, dass die Inhalte und Anwendungen so nah wie möglich bei den Nutzern sein müssen. Geografisch gesehen müssen Nutzer von interaktiven Online-Spielen oder Live-Streaming in HD/4K weniger als 1.200 km vom Rechenzentrum entfernt sein.

Die Anwendungen, die unsere digitale Zukunft prägen werden, werden jedoch eine viel geringere Latenzzeit erfordern – im Bereich von 1-3 Millisekunden. Intelligente IoT-Anwendungen und kritische Anwendungen, die Echtzeitreaktionen erfordern, wie z. B. autonomes Fahren, müssen in einem Umkreis von 50-80 km vom Nutzer ausgeführt werden.

Digital everywhere 2
Abbildung 2: Um die beste Performance zu gewährleisten, müssen digitale Anwendungen überall näher an die Nutzer herankommen.

Direkt am Ort des Geschehens – Verringerung der Latenzzeit bei gleichzeitiger Erhöhung der Resilienz und Sicherheit

Wir von DE-CIX können Unternehmen sowohl die niedrigsten Latenzzeiten als auch die höchste Resilienz und Sicherheit bieten. Wie wir das schaffen? Indem wir Sie direkt mit den Netzen zusammenbringen, mit denen Sie Daten austauschen müssen. Wenn Sie sich an einen DE-CIX Internet Exchange anschließen, sind Sie genau dort, wo sich die Wirtschaft der Zukunft abspielt.

Um ein hohes Maß an Service-Kontinuität zu gewährleisten, bietet DE-CIX Unternehmen Interconnection-Lösungen an, die sich direkt mit der gewünschten Anwendung oder Rechenquelle verbinden – zum Beispiel mit den vielen Cloud-Diensten, die ein Unternehmen nutzt (über DE-CIX DirectCLOUD), oder mit Anwendungen, die beispielsweise über Microsoft 365 verfügbar sind. Dabei können Unternehmen über DE-CIX mit dem Microsoft Azure Peering Service direkt verbunden werden. Auf diese Weise wird die Latenzzeit minimiert und die Resilienz gewährleistet. Wie wir noch sehen werden, erfüllt DE-CIX noch viele weitere branchenspezifischen Interconnection-Anforderungen von Unternehmen. 

Was brauchen Unternehmen für die Zusammenschaltung? Anwendungsfall: Mobilität

Wenn es um den Vernetzungsbedarf von Unternehmen geht, ist der Mobilitätssektor eindeutig ein Vorreiter. Das vernetzte Auto ist ein Ökosystem von vielfältigen Daten. Beispiele dafür sind Daten zur physischen Sicherheit und zu physischen Straßenbedingungen, Daten zur Verbesserung des Verkehrsmanagements, Daten zum Zustand und zur Wartung des Fahrzeugs, zur Unterhaltung und so weiter.

Die immensen Datenmengen im Zusammenhang mit dem Auto lassen sich in zwei Haupttypen unterteilen: Daten im Auto und Daten außerhalb des Autos bzw. beim Verlassen des Autos. 70 Prozent verbleiben im Auto und können in einem ruhigen Moment in der Garage verarbeitet werden. Die anderen 30 Prozent sind jedoch für die Sicherheit und Performance auf der Straße entscheidend und extrem latenzempfindlich. Diese Daten beziehen sich auf die Kommunikation zwischen Autos (car2car) sowie mit der Cloud (car2cloud) und der Umwelt (car2environment data – z.B. Interaktion mit verschiedenen Sensoren und Schildern auf der Straße). Diese Daten erfordern latenzarme und sichere High-Performance-Interconnection-Services zwischen den verschiedenen Fahrzeugen auf der Straße und zwischen den Netzen des Fahrzeugherstellers und all diesen anderen Datenlieferanten und - empfängern.

Der alte Ansatz

Der bisherige Ansatz der Automobilhersteller war eine Best-Effort-Lösung mit MPLS- und IP-Transit (Upstream), ohne End-to-End-Kontrolle der Verkehrsströme zwischen dem Fahrzeug und den Netzen, die Daten an das Fahrzeug liefern oder von ihm empfangen wollen. Dies führt zu Leistungsproblemen, denn je mehr Zwischenstationen zwischen den beiden Netzen liegen, desto schlechter ist die Performance und desto höher ist die Latenzzeit. Dies führt auch zu Sicherheitsbedenken wie potenziellen DDoS-Angriffen und IP-Hijacking sowie zu Problemen mit der Einhaltung von Vorschriften. Denn wenn die Datenwertschöpfungskette nicht kontrolliert wird, kann auch die Einhaltung dieser Vorgaben nicht kontrolliert werden.

Nicht zuletzt ergibt sich ein erhebliches Komplexitätsproblem, wenn man die Hunderte – möglicherweise Tausende – von Organisationen berücksichtigt, die Daten in das Auto einspeisen und gleichzeitig Daten empfangen, die von den Hunderten von Sensoren im Auto erzeugt werden. Wenn ein Automobilunternehmen mit all diesen Partnern und Zulieferern in Verbindung treten will, führt der alte Ansatz zu buchstäblich Tausenden von bilateralen Interconnections und Verbindungen – etwas, das niemand effizient verwalten kann. 

Der neue Ansatz – die Komplexität wie von Zauberhand verschwinden lassen

Diese Herausforderung kann mit der Logik der Interconnection bewältigt werden, wie wir sie in unserem DE-CIX-Ökosystem einsetzen: Direkte Interconnection zwischen den Parteien nach dem sehr effizienten Prinzip "one-to-many" oder "many-to-many". Beim Zusammenschalten des Datenverkehrs anstelle von mehreren bilateralen Verbindungen verschwindet die Komplexität beinahe wie von Zauberhand. Wir verfügen über eine aufgeräumte Umgebung, in der das Fahrzeugnetzwerk mit allen Teilnehmern, die Daten an das Fahrzeug liefern und Daten vom Fahrzeug empfangen wollen, in einem einzigen geschützten und hocheffizienten Raum verbunden werden kann.

Die Ökosysteme des DE-CIX sind das natürliche Zuhause für solche Unternehmensökosysteme. Heute verfügen wir über mehr als 2.100 angeschlossene Netze auf der ganzen Welt, und diese Netzwerke bedienen die Finanzindustrie, die Automobilindustrie, das Gesundheitswesen – sie sind bereits an diesen Wertschöpfungsketten beteiligt. Das bedeutet, dass sie bereits vor Ort sind, in unmittelbarer Nähe – ein Unternehmen kann auf diese Weise alle Partner leicht an einem Ort zusammenbringen, sodass die Verbindung mit ihnen schnell und einfach, sicher, resilient und mit sehr geringen Latenzzeiten erfolgt. Daher ist die Nutzung der DE-CIX-Ökosysteme zur Schaffung geschützter neuer, auf die Interessengruppen zugeschnittener Ökosysteme mit all dem Schutz, den Unternehmen benötigen und erwarten, ein natürlicher Schritt.

Wie Unternehmen über die Zusammenschaltung verfügen und sie kontrollieren können

Auf der DE-CIX-Plattform kann ein Unternehmen – im obigen Anwendungsfall ein Automobilhersteller, aber der Ansatz ist branchenunabhängig – seine eigene geschlossene Benutzergruppe einrichten und die Richtlinien vorgeben, die in Bezug auf Performance, Sicherheit, Einhaltung von Vorschriften usw. erfüllt werden müssen. In dieser Umgebung ist der Datenaustausch geschützt und gleichzeitig sehr effizient miteinander verbunden – unter Ausnutzung der Vorteile bestehender Ökosysteme, wie etwa der Nähe der Netze und der damit verbundenen geringeren Latenz. Diese Lösung bietet eine Antwort auf die Frage, wie ein Unternehmensnetz in einer geschlossenen Umgebung mit anderen Netzen verbunden werden kann, um die Komplexität zu verringern, die Sicherheit zu erhöhen, die Performance zu verbessern und die Einhaltung von Vorschriften zu gewährleisten.

Ausgehend von diesem Konzept können mehrere Organisationen innerhalb einer Branche – z. B. Automobil-, Finanz- und Gesundheitswesen – beschließen, eine gemeinsame Richtlinie auf der Grundlage gemeinsamer Bedürfnisse und gemeinsamer rechtlicher Anforderungen zu entwickeln und einen Verband gründen. Mit der DE-CIX-Interconnection-Federation profitiert die Digitalisierung in sämtlichen Branchen und Industrien. Sie wird beschleunigt und entsprechend der jeweiligen Bedürfnisse umgesetzt. Zeitgleich kann so auch die Nachfrage nach den angebotenen Diensten, die sich aus der weltweiten digitalen Transformation ergeben, gedeckt werden.

Digital everywhere 3
Abbildung 3: Mit den 25 Internet Exchanges des DE-CIX auf der ganzen Welt können ca. 4 Milliarden Menschen mit Latenzzeiten unter 65 ms versorgt werden.

Digital überall, für jeden

Das Unternehmen der Zukunft ist digital. Latenz ist die neue Währung für die spannende nächste Generation von Anwendungen und Diensten. Die digitale Infrastruktur wird in Zukunft noch wichtiger sein und dieses Bedürfnis ist in der modernen Welt universell.

Da die Anforderungen an niedrige Latenzzeiten immer größer werden, wird es immer wichtiger, Interconnection-Services so nah wie möglich an die Menschen und Unternehmen zu bringen – und zwar überall. DE-CIX, der Betreiber des weltweit führenden Interconnection-Ökosystems, bietet niedrige Latenzzeiten, Hochleistungs-Interconnection-Services zu 25 Internet Exchanges in der ganzen Welt, die über 2.100 der weltweit größten Netze miteinander verbinden und in mehr als 500 Rechenzentren in über 100 Ländern verfügbar sind.

Heute versorgen wir mit unseren Internet Exchanges rund um den Globus etwa 4 Milliarden Menschen mit einer Latenzzeit von 65 ms oder weniger. Wenn sich die Anforderungen an die Latenzzeiten jedoch weiterhin mit der Innovationsgeschwindigkeit der letzten Jahre entwickeln, werden digitale Services und Anwendungen in relativ kurzer Zeit so weit fortgeschritten sein, dass noch niedrigere Latenzzeiten erforderlich sind. Für ein nahtloses Endnutzererlebnis werden diese in naher Zukunft wahrscheinlich auf maximal 20 ms sinken.

In einem solchen Kontext würde die Überlappung unserer derzeitigen Interconnection-Abdeckung aufgehoben – und wir müssten die Anzahl der Märkte erneut verdoppeln. Daher werden wir in Zukunft noch mehr Märkte in immer größerer Nähe erschließen müssen. Denn um alles und jeden mit niedrigen Latenzzeiten zu versorgen, brauchen wir wesentlich mehr Plattformen in einer viel höheren Dichte. DE-CIX bereitet sich auf diese Zukunft vor – aber das ist eine andere Geschichte, für ein anderes Mal: Es genügt zu sagen, dass DE-CIX das Digitale überall hinbringt, für jeden.