Die Globalisierung begünstigt den Aufbau weltumspannender Netzwerke – globale Verkehrs- und Handelsnetzwerke, die länderübergreifenden Lieferketten der modernen Industrie oder eben auch das Internet. Sie begünstigt aber auch die Entstehung globaler Krisenphänomene, die die gesamte Welt zugleich erfassen. Die Coronakrise ist hierfür das beste Beispiel. Durch den weltweiten Reiseverkehr blitzschnell verbreitet, betrifft das Virus mittlerweile mehr als 200 Länder. Ganze Städte, Regionen und Nationen stehen plötzlich still. Die Emotionen der Menschen schwanken zwischen Trauer, Wut, Angst und Hoffnung. Wohin wir auch schauen, scheint sich eine wachsende Verunsicherung breit zu machen.
Ein Rettungsanker ist die globale digitale Infrastruktur – die terrestrischen und mobilen Netzwerke, die Rechenzentren, die Unterwasserkabel und die Satellitenverbindungen, die den weltweiten Datenaustausch möglich machen. Sie erlauben es uns, trotz Lockdown und sozialer Isolation in Kontakt zu bleiben. Sie transportieren Ablenkung und Unterhaltung direkt in unser Wohnzimmer. Und sie versetzen viele von uns in die Lage, von Zuhause aus auch weiterhin unserem Beruf nachzugehen und unseren Lebensunterhalt zu verdienen.
Ein Lockdown ist kein Shutdown
Der globalen digitalen Infrastruktur haben wir maßgeblich zu verdanken, dass der aktuelle Lockdown nicht gleichzeitig auch ein Shutdown ist. Wir haben zu Beginn der Krise erlebt, wie Unternehmen aller Größe nach kreativen Wegen suchten, weiterhin ihre Kunden zu bedienen. Cocktailbars bieten ihre Kreationen seitdem online an und liefern sie per Fahrradkurier bis an die Haustür. Bands streamen ihre Konzerte auf Twitch. Und Millionen Büroarbeiter sind ins Home-Office gewechselt. Aber auch in anderen Bereichen tut sich viel: Schulen und Unis verlegen den Unterricht ins Netz. Millionen von Großeltern lernen gerade, was das Verb „facetimen“ bedeutet. Kurzum: Wir passen uns an die neuen Gegebenheiten an – und digitale Kommunikation ist dabei ein entscheidender Faktor.
Mit Beginn der Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens schoss die Nachfrage nach entsprechenden Services und Produkten global in die Höhe. Webcams waren plötzlich ähnlich rar wie Toilettenpapier. Der Datendurchsatz am weltgrößten Internetknoten in Frankfurt erreichte mit 9,1 Terabit pro Sekunde einen neuen Spitzenwert. Krisenbedingt eskalierte hier eine Entwicklung, die sich bereits seit Jahren beobachten ließ: Digitale Anwendungen werden für das Funktionieren unseres Arbeits- und Privatlebens immer wichtiger. Aber auch die beste Anwendung kann nicht funktionieren, wenn die zugrundeliegende digitale Infrastruktur nicht so solide, widerstandsfähig und sicher wie möglich ist.
Wir brauchen Investitionen in digitale Infrastruktur
Eine zentrale Erkenntnis der Krise lautet deshalb: Unsere digitale Infrastruktur muss noch besser werden, denn wirtschaftlich und gesellschaftlich hängt enorm viel von ihr ab. Eine wichtige Erfahrung, die auch dann seine Gültigkeit behält, wenn wir COVID-19 eines Tages besiegen. Wer würde bestreiten, dass wirtschaftliches Wachstum mittlerweile ebenso sehr vom Zugang zum globalen Datennetzwerk abhängt wie vom Zugang zu den eingangs erwähnten Verkehrs- und Handelsnetzwerken?
In der Interconnection-Community, in der ich mich bewege, besteht ein starkes Bewusstsein dafür, dass man letztlich kritische Infrastruktur aufbaut und pflegt, die so global, offen (d.h. neutral), belastbar, skalierbar und sicher wie möglich sein sollte. Denn nur so lassen sich die zahlreichen und vielfältigen Dienste bereitstellen, die von Menschen, Institutionen und Unternehmen benötigt werden. Diese Einsicht verbreitet sich auch immer mehr in der Politik, in der Wirtschaft und in der breiten Bevölkerung.
Die Krise sorgt für Belastungsspitzen
Die Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens verändern die Art und Weise, wie wir miteinander interagieren, wie wir uns verhalten, wie wir arbeiten und wie wir miteinander kommunizieren. Als globaler Betreiber verzeichnen die Internet Exchanges des DE-CIX auf vier Kontinenten alle den gleichen Trend: Der Internet-Verkehr wächst. Wann und wie stark die Pandemie die einzelnen Länder erfasste, lässt sich einigermaßen zuverlässig am Wachstum des Datendurchsatzes ablesen.
Vor allem drei Arten des Internet-Verkehrs haben erheblich zugenommen: Der von Kommunikationstools – z.B. Videocalls – verursachte Traffic hat sich seit Beginn der Krise verdoppelt. Ähnlich hoch ist der Zuwachs bei Streaming-Diensten. Darüber hinaus ist der von Onlinespielern verursachte Datenverkehr um 50 Prozent gewachsen. Zusammengerechnet ist das ein Anstieg, der die digitale Infrastruktur weltweit auf eine Belastungsprobe stellt.
Das neue Normal
Wie könnte eine Post-Corona-Welt aussehen? Mit Blick auf die digitale Infrastruktur muss vorweggesagt werden, dass bereits vor der Krise enorme Investitionen getätigt wurden. Aber was jetzt als Reaktion auf die weltweiten Abriegelungen geschieht, wird die Spielregeln in vielen Bereichen dauerhaft ändern. Der gegenwärtige Wandel der Einstellungen, Prozesse und Systeme wird mit dem Ende der Krise nicht rückgängig gemacht.
Viele Arbeitgeber beschäftigen sich damit, wie Remote-Arbeit die Geschäftskontinuität fördert und ihre Mitarbeiter bei der Bewältigung von Herausforderungen unterstützt. Darüber hinaus beginnen Entscheidungsträger auch die langfristigen Vorteile einer tiefgreifenden digitalen Transformation zu erkennen. In vielen Unternehmen beginnt gerade eine kritische Auseinandersetzung mit Fragen wie: Welchen Zweck haben Büros? Wie interagieren Mitarbeiter online und offline, wie arbeiten Teams idealerweise zusammen? Welche Geschäftsreisen sind tatsächlich notwendig? Und lassen sich Meetings neu konzipieren, um sie insgesamt produktiver zu machen? Die Verschiebung des Arbeitsalltags in den digitalen Raum war zunächst eine unvermeidbare Reaktion auf die Krise. Doch je länger wir sie aufrechterhalten, desto offensichtlicher werden auch die Effizienzvorteile und Umsatzchancen, die sich in einigen Bereichen auftun.
Es geht also nicht nur um Kurzzeiteffekte, sondern um einen nachhaltigen Wandel, der unser Arbeits- und Privatleben ergreift. Dieser wird eine vermehrte Nutzung digitaler Produkte und Services zur Folge haben, die selbst die kühnsten Wachstumsprognosen aus der Vorkrisenzeit übertreffen dürfte. Aktuell stellt das Virus selbst noch eine enorme Bedrohung dar. Wir tun deshalb alle unser Menschenmöglichstes, um seine Auswirkungen zu minimieren, seine Ausbreitung zu stoppen, die Kurve abzuflachen und ein Heilmittel zu finden. Mittelfristig bietet sich aber die Chance, aus der Krise wertvolle Lehren zu ziehen.
Lehren aus der Krise
Wenn es uns gelingt, etwas aus der Krise zu lernen, dann werden wir auf die nächste besser vorbereitet sein. Das gilt auch für die digitale Infrastruktur. Sie bildet die Basis für die meisten wichtigen technischen Innovationen unserer Zeit – und sie hilft gegenwärtig, den Lockdown ökonomisch und gesellschaftlich verträglicher zu gestalten. Die Regionen der Welt, die über eine solide und zuverlässige digitale Infrastruktur verfügen, sind deshalb gegenüber denjenigen im Vorteil, die nach wie vor unterversorgt sind. Für die nahe Zukunft muss die Zielsetzung deshalb lauten, den „Digital Divide“ zu beseitigen und möglichst allen Menschen auf diesem Planeten einen digitalen Zugang zu Informationen und Kommunikationsmitteln zu verschaffen.
Nach der Krise wird nichts mehr so sein wie vorher. Menschen werden anders interagieren, Unternehmen anders wirtschaften. Die Art und Weise, wie wir uns global vernetzen, wird sich ändern. Wenn wir die gegenwärtigen Herausforderungen meistern und uns auf zukünftige bestmöglich vorbereiten wollen, führt an all dem kein Weg vorbei. An den Lockdown, dessen Ende wir alle herbeisehnen, muss und wird sich deshalb ein digitales Unlocking anschließen.