Die Rolle des einst zu Forschungszwecken aufgebauten Netzes von Teilnetzen, heute bekannt als das Internet, hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem omnipräsenten Kommunikations- und kommerziellen Ökosystem gewandelt. Ende 2018 nutzten mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung, also 3,9 Milliarden Menschen aus allen Ländern der Welt, das Internet – Tendenz steigend. Laut einer Einschätzung von Cisco[1] werden im Jahr 2023 weltweit 29,3 Milliarden Geräte an das Internet angeschlossen sein (das wären 3,6 Geräte pro Erdbewohner), die zu Spitzenzeiten insgesamt 1.209 Terabit pro Sekunde (Tbps) Internetverkehr senden und empfangen werden – das sind umgerechnet ungefähr 48 Millionen parallele Netflix 4K-Streams. Der Datenverkehr der Zukunft wird nach diesen Einschätzungen also enorme Ausmaße annehmen.
Covid-19 verändert die Internetnutzung – kommt das Netz an seine Grenzen?
Welche tragende Rolle das Internet in unserer Gesellschaft gegenwärtig spielt, nehmen wir insbesondere in diesen Tagen durch die COVID-19 Krise wahr. Die Arbeit wird kurzerhand ins Home-Office verlegt, wir nutzen das Internet um mittels Videotelefonie mit Freunden und Kollegen in Kontakt zu bleiben, kleine Vereine, die bisher lediglich eine Webseite hatten, nutzen Streaming um Trainingseinheiten zu übertragen oder das Internet dient schlicht dem Entertainment in Form von Online-Computerspielen oder Videostreaming. Durch diese Veränderungen konnte an verschiedenen Beobachtungspunkten im Internet in den letzten Wochen ein deutlich gestiegener Datenverkehr verzeichnet werden. Am weltgrößten Internetknoten in Frankfurt am Main ist der übertragene Internetverkehr zu Spitzenzeiten über 10 Prozent auf 9,1 Terabit pro Sekunde gewachsen, an kleineren Internetknoten (gemessen am Datendurchsatz), wie zum Beispiel DE-CIX Düsseldorf, sogar um mehr als 20 Prozent. Insbesondere der Datenverkehr für Dienste, die im Home-Office benötigt werden, wie Skype oder Zoom, sind teilweise bis zu 100 Prozent gestiegen. Der Online- und Cloud-Gaming Traffic steigerte sich um 50 Prozent.
Mit Blick auf diese signifikanten Veränderungen unseres Internet-Nutzungsverhaltens stellen sich die folgenden Fragen: „Wie viel kurzfristiges Wachstum verträgt das Internet überhaupt und was sind die begrenzenden Faktoren?“ Zunächst einmal wurde die offene Internetarchitektur vor über 50 Jahren mit wichtigen Designentscheidungen, wie technologische Unabhängigkeit der einzelnen Teilnetze, best-effort Paketvermittlung und ohne globale Kontrolle, konzipiert. Im Detail haben sich das Internet und all die beteiligten Technologien extrem weiterentwickelt – viele der grundlegenden Protokolle und Konzepte (wie z.B. IP, BGP oder TCP) wurden zumeist jedoch nur in wichtigen Details erweitert. Die Gesamtheit dieser Entscheidungen ist die Grundlage für das phänomenale Wachstum des Internets über die letzten Jahrzehnte. Daher kann es auch kurzfristige Anstiege von Datenverkehr, wie wir sie gegenwärtig beobachten, problemlos bewältigen.
Teilnetze gewährleisten die Stabilität
Die vereinfacht dargestellte Struktur des Internets besteht aus drei unterschiedlichen Arten von Teilnetzen, die immer administrative Domänen abbilden und damit direkt einzelnen Unternehmen zugeordnet werden können: Endkundennetze (DSL, UMTS/LTE oder Kabel-Anbieter), Transportnetze und Dienstbetreibernetze (von dort werden Dienste übermittelt, sie sind oft auch als Content-Delivery-Networks, kurz CDNs, oder leistungserbringende Netze bekannt). Um einen Videostream konsumieren zu können, wird eine Anfrage vom Nutzer zu einem Server des Anbieters geschickt. Dabei wird das Datenpaket zunächst im Endkundennetz (beim Nutzer) zu einem Übergabepunkt transportiert, wo es entweder an ein Transportnetz oder direkt an das Dienstbetreibernetz übergeben wird. Diese Übergabepunkte sind unter anderem Internetknoten wie der DE-CIX in Frankfurt. Falls ein Transportnetz dazwischengeschaltet ist, stellt dieses die Zustellung durch seinen weltumspannenden Backbone sicher.
Um zu verstehen, wo in der derzeitigen Krise potentiell Engpässe entstehen können, müssen die drei eben genannten Komponenten genauer betrachtet werden: Die Endkundennetze, also jene Teilnetze die uns mit einem Breitbandanschluss wie z.B. mit DSL, UMTS/LTE oder Kabel versorgen, Transportnetze, die vereinfacht ausgedrückt alle Netze zwischen dem Endkundennetz und dem leistungserbringenden Netz darstellen, sowie Dienstbetreibernetze. In einer Krise wie der aktuellen können in diesen drei Netzarten, durch einen sprunghaften Anstieg des Datenverkehrs, Engpässe entstehen.
Der limitierende Faktor im Endkundennetz kann zum Beispiel die Anschlusskapazität des DSL-Anschlusses sein, in diesem Fall also weniger eine technische Beschränkung als eine kommerzielle Einschränkung. Wichtiger für die Fragestellung ist, dass die Betreiber von Endkundennetzen ausreichende Kapazitäten innerhalb ihres Netzes vorhalten müssen. Es muss jederzeit genügend Kapazität vorhanden sein, um den erforderlichen Datenverkehr aus den Haushalten oder Büros durch die Endkundennetze zu den Übergabepunkten, und von dort aus in andere Netze (wie Transport- oder Dienstbetreibernetze) transportieren zu können.
Um einem limitierten Datenverkehr beim Endnutzer vorzubeugen, werden im heutigen modernen Internet nicht mehr alle Inhalte direkt von den jeweiligen CDN-Servern zum Endkunden transportiert. Häufig werden beliebte Inhalte bereits auf Servern zur Verfügung gestellt, die sich direkt im Endkundennetz befinden und sie müssen daher nur einmalig dorthin übertragen werden. Ein populärer neuer Film, der auf Streaming-Plattformen angeboten wird, muss nur einmalig auf einen sogenannten Cache-Server im Endkundennetz übertragen werden – das betrifft heute bis zu 50 Prozent der Fälle. Für die finale Auslieferung zu den Kunden muss die Netzkapazität beim Endkunden zwar trotzdem weiterhin vorgehalten werden, allerdings bietet es ein erhebliches Einsparpotential an den Netzübergängen (zuvor als Übergabepunkte beschrieben).
Netzübergänge als Flaschenhälse
Potentielle Engpässe können auch an den Netzübergängen entstehen. Damit sind die kritischen Verbindungen und Übergabepunkte zwischen den einzelnen Teilnetzen (Endkundennetze, Transportnetze und Dienstbetreibernetze) gemeint, die das gesamte Ökosystem der Netze zum Internet vereinen. Technisch gesehen kann das eine direkte Verbindung mittels Glasfaser, oder auch einer der 880 Internetknoten weltweit sein, die diese Teilnetze miteinander verbinden.
Eben diese Netzübergänge können bei unzureichendem Ausbau die Flaschenhälse des Internets werden und somit bei explosionsartig wachsendem Datenverkehr die Verfügbarkeit von Diensten einschränken. Dabei bieten beispielsweise die Austauschplattformen von Internetknoten kontinuierlich ausreichende Kapazität und werden im Allgemeinen nur zu etwa 50 Prozent ausgelastet. Folglich sind an dieser Stelle die Anschlüsse (also die angeschlossenen Kapazitäten) der beteiligten Teilnetze, die am Internetknoten ihren Datenverkehr austauschen, der limitierende Faktor. Wenn mehr Datenverkehr von allen an dem Internetknoten angeschlossenen Teilnetzen (z.B. Endkundennetze) zu einem anderen Teilnetz (z.B. Dienstbetreibernetz) fließen soll, als dieser über Anschlusskapazität am Internetknoten verfügt, wird ein Teil des Datenverkehrs zwangsläufig verworfen. Typische Anschlusskapazitäten erlauben Übertragungsraten von 1 Gbps, 10 Gbps, 100 Gbps oder sogar 400 Gbps, diese können beliebig aufgestockt oder kombiniert werden.
Neben der Betrachtung des Dienstbetreibernetzes an sich und der Anschlusskapazität an Netzübergängen wie einem Internetknoten müssen Dienstanbieter selbstverständlich auch ausreichend Serverinfrastruktur vorhalten, um der derzeitigen gestiegenen Nutzung standzuhalten. Außerdem ist es sinnvoll, die entsprechenden Server näher an die Endkunden zu bringen. So befinden sich beispielsweise Netflix-Filme, die in Deutschland gestreamt werden nicht in einem amerikanischen, sondern in einem deutschen Rechenzentrum.
Der weltgrößte Internetknoten als Blaupause für die COVID-19 Veränderungen im Datenverkehr
Bei einer detaillierten Analyse am Internetknoten DE-CIX in Frankfurt am Main, sowie am Standort DE-CIX Madrid, wurde eine Aufteilung des Datenverkehrs in verschiedene Dienstklassen – Video on Demand (VoD), Collaborative Working und Gaming – vorgenommen, bei der das Volumen des Datenverkehrs und die Anzahl der Benutzer über einen Zeitraum von mehreren Wochen (vor und während den einschränkenden Maßnahmen durch COVID-19) betrachtet wurde. Dabei ergeben sich drei Kurven, jeweils für Maximum, Durchschnitt und Minimum des Datenverkehrs[2] (Abb. 1).