Was ist 2021 in Sachen Digitalisierung wichtig für Unternehmen, Cloudprovider und ISPs? Wird der Corona-Schub anhalten? Dr. Thomas King, Technikchef beim Betreiber des weltgrößten Internetknotens DE-CIX in Frankfurt, über die Zukunft der Internetverbindungen und Interconnection in 2021.
1. Die Verbindung der Zukunft ist dediziert
Früher war man froh, wenn das Internet funktioniert hat. Heute entwickeln Anbieter und Unternehmen sehr genaue Vorstellungen von dem, was eine Internetanbindung zu leisten hat. Dedizierte Verbindungen in die Cloud – auch Cloud Connectivity oder Cloud on-ramping genannt – sind bereits ein wichtiges Thema in der Industrie, das 2021 an Fahrt gewinnen wird.
Nicht erst seit Corona wandern immer mehr Dienste in die Cloud – doch was tun Unternehmen bei einem Ausfall? Am 30. August 2020 führten Netzwerkprobleme des US-Anbieters CenturyLink zu weltweiten Internetausfällen. 2021 werden wir vermehrt einen Fokus auf Ausfallsicherheit sehen – als Teil immer spezifischerer Vorstellungen, was eine Internetverbindung leisten muss.
2. Interconnection wird wieder Kernkompetenz
Eine Anbindung braucht jeder, doch bisher haben Unternehmen das Thema Konnektivität gerne outgesourct. Entweder mangelte es an Knowhow oder man verließ sich auf externe Dienstleister, um keine internen Kosten zu verursachen. Heute sind Sicherheit, Data Management und User Experience jedoch zunehmend Vorstandsthemen.
In der Automobilbranche hat der Aufbau der eigenen Kompetenzen bereits begonnen. Digitale Leistungen eines Autos wie Stauwarnungen, regelmäßige Softwareerweiterungen des Autos über Softwareupdates und userzentrische Apps sind dem Verbraucher bald so wichtig wie die Karosserie selbst. Automobilhersteller setzen daher wieder auf die Kontrolle ihrer Netzwerkanbindungen, um eine gleichbleibend hohe Qualität zu garantieren. So wie der Automobilbranche wird es 2021 auch vielen anderen Branchen gehen – Interconnection wird wieder Kernkompetenz.
3. Corona zeigt die Bedeutung von digitaler Infrastruktur
Corona trieb 2020 die Digitalisierung voran, gab vielen Digitalisierungsprojekten mehr Sichtbarkeit und zeigte die Bedeutung digitaler Infrastruktur auf verschiedenen Ebenen. Home-Office und die Nutzung von Videokonferenzsystemen sind nun Standard, und Office- sowie Collaboration-Lösungen aus der Cloud haben in diesem Jahr ein explosives Wachstum erfahren. Das wird sich 2021 fortsetzen – wenn auch etwas weniger intensiv.
In der ersten Jahreshälfte 2020 wurden viele Investitionen vorgezogen: Infrastruktur und Digitalisierung bestimmten die Agenda. Es wurde massiv Bandbreite hinzugefügt, um den ansteigenden Datenverkehr meistern zu können. Durch das Leben im „New Normal“ liegt der Fokus weiterhin auf dem Ausbau der digitalen Infrastrukturen, auch wenn die Menschen wieder ins Büro zurückkehren. So, wie 2020 vieles vorgezogen wurde, rechnen wir mit einer Nachlagerung einiger Investitionen ins zweite Halbjahr 2021.
4. Endlich Massentauglich: Edge Computing und 400GE
5G wird 2021 endlich massentauglich: Neue Hardware ist bereits auf dem Markt, alle Smartphones der neusten Generation unterstützen 5G. Was fehlte, waren die Netze. Und die werden 2021 ausgebaut – zumindest in den Ballungszentren. Neue Anwendungen werden schnell folgen, vom VR-Gaming bis zu anspruchsvollen Streamingdiensten. Die Politik verspricht schon länger einen Netzausbau, und nächstes Jahr ist ein spürbarer Schub realistisch. 5G wird auch die industrielle Anwendung von Interconnection auf eine neue Stufe heben. Aktuelle Szenarien umfassen beispielsweise den Bereich Mobilität. Hierbei ist ein flächendeckender Einsatz von 5G-Masten, Edge-Computing Funktionen in sogenannten Edge-Rechenzentren, und die damit verbundene Glasfaseranbindung an entfernte Rechenzentren sowie regionale Cloud-Lösungen erforderlich. Ein vernetztes Auto wird eine Vielzahl von Sensoren tragen, kann aber andererseits auch selbst als ein mobiles Edge-Rechenzentrum betrachtet werden. In Zukunft werden Autos teils lebenswichtige „Entscheidungen“ auf einer Datenbasis treffen – deshalb muss sichergestellt sein, dass die Datenverarbeitung direkt und unmittelbar erfolgt. Die theoretische Latenzanforderung liegt im Ernstfall bei unter 1ms.
Auch im Bereich der größeren Infrastruktur werden wir einen Sprung sehen: Alle großen Netze werden auf 400GE springen. Die Technologie war bisher noch sehr teuer, doch in 2021 wird sie bezahlbar und deswegen auch in der Masse verfügbar sein. Diese Verbindung aus deutlich schnelleren Netzen und zunehmendem Edge Computing dürfte für viele Anbieter und Unternehmen spannend werden.
5. GAIA-X kommt in die heiße Phase
GAIA-X wurde 2019 mit dem Ziel ins Leben gerufen, eine vertrauenswürdige und souveräne digitale Infrastruktur für Europa zu entwickeln, die auch globale Player integriert. Im nächsten Jahr wird die Initiative bereits ein starkes Fundament für eine moderne Dateninfrastruktur der nächsten Generation sein, die den zukünftigen Bedürfnissen von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft gerecht wird.
DE-CIX, als eines der 22 europäischen Gründungsmitglieder, wird seine Interconnection-Infrastruktur bei GAIA-X einbringen. Sie bildet einen wesentlichen Teil der Basis für die digitalen Dienste von GAIA-X. Neben DE-CIX gibt es noch weitere starke europäische Internetknoten. Die europäische Internetknoten Landschaft ist – aufgrund unterschiedlicher Geschäftsmodelle – deutlich weiter entwickelt als jene in Nordamerika oder Asien. Durch die Zusammenführung der europäischen Internetknoten zu einer Internetknoten-Infrastruktur wird es bald möglich sein, einen europaweiten, nahezu lückenlosen Zugang zu GAIA-X-Anwendungen zu gewährleisten. Dies wird erstmalig datenschutzkritische- und Low-Latency Anwendungen, beispielsweise im Bereich Healthcare und autonomes Fahren, ermöglichen.
Fazit: Aufbruchsstimmung nutzen
2021 werden wir eine weitere Fortsetzung bereits bestehender Trends sehen: Automatisierung, Self-Service und das Thema Sicherheit spielen nach wie vor eine große Rolle. Hinzu kommt der Fokus auf unterschiedliche, spezifische Verbindungsarten für neue Zielgruppen und dedizierte Anwendungen. Unternehmen, die ihre digitalen Angebote ausbauen, machen Konnektivität wieder zur Kernkompetenz. Und Technologien wie Edge Computing und 5G werden endlich massentauglich.
All das sorgt für eine Aufbruchsstimmung 2.0 in der Internetbranche, die sie aus der Sättigung der letzten Jahre reißt. Anfang der 2000er konnten wir im Internetbereich eine wahnsinnige Innovationsgeschwindigkeit sehen. Vielleicht können wir uns auf diese Zeit zurückbesinnen und den Corona-Schub nutzen um 2021 einen Markt im Aufbruch mit mehr Innovationen versorgen.