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Globale Automobilhersteller oder Software-Spezialisten: Wer gewinnt das Rennen um das softwaredefinierte Fahrzeug?

Ivo Ivanov, Geschäftsführer DE-CIX International
März 2022

Wie die Datenkonnektivität den Automobilmarkt verändert

Es gebe heute keinen Automobilhersteller, der das Potenzial von Digitalisierung und Konnektivität für seine Produkte nicht kenne, erklärt Ivo Ivanov, CEO von DE-CIX International. Moderne Assistenz- und Überwachungssysteme, Infotainment, E-Commerce, Telemetrie, Flottenmanagement, Pay-per-Use und Shared Mobility, Pay-by-Car-Parking und digitale Schlüsselsysteme sind Entwicklungen, die die Industrie beschäftigen. Da vollautonomes Fahren, datengesteuerte Dienste und eine viel stärkere Personalisierung im softwaredefinierten Fahrzeug (SWdV) an Bedeutung gewinnen, wird eine robuste, leistungsstarke und sichere Konnektivität unverzichtbar.

Beim softwaredefinierten Fahrzeug treten die großen Erstausrüster (Original Equipment Manufacturers, OEMs) – also die Automobilhersteller – gegen Tech-Giganten wie Amazon, Apple, Google und Microsoft an, um die Betriebssysteme für das Auto der Zukunft zu entwickeln. Doch ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Konkurrenz ist für die OEMs kurzfristig kaum möglich. Zwar arbeiten die Erstausrüster daran, die Software-Spezialisten und Data-Journey-Manager ihrer Mobilitätsprodukte zu werden, aber Big Tech hat in diesem Bereich einen klaren Vorsprung. Infolgedessen entsteht in der Automobilindustrie derzeit eine Reihe von Modellen, die auf Partnerschaften und Co-Innovation basieren. Diese sind eine Zwischenlösung, während sich die OEMs auf die Automobilindustrie der Zukunft vorbereiten.

Ein Auto enthält heute bereits mehr als 100 Millionen Codezeilen und erzeugt täglich mehr als ein Terabyte an Daten. Diese Daten sind für Automobilhersteller von großem Wert, weshalb sie sich zu Softwareentwicklern und Plattformanbietern entwickeln. Ihr Ziel ist es, der nächste große Technologieanbieter in der digitalen Industrie zu werden.

Das autonome Auto wird neue Möglichkeiten eröffnen. Es wird nicht mehr nur ein Transportmittel von A nach B sein, sondern ein rollendes Büro, ein zweites Wohnzimmer mit zahlreichen Unterhaltungsmöglichkeiten und einer Plattform für intelligente digitale Mobilitätsdienste werden. Für die Automobilhersteller geht es darum, sich in einem hart umkämpften Markt zu differenzieren. Der Kunde der Zukunft wird mehr Wert auf die digitalen Eigenschaften eines Autos legen als auf dessen Motorleistung. Die wachsende Beliebtheit von Elektrofahrzeugen (EVs) bestätigt diesen Trend.

Sichere und leistungsstarke Konnektivität - die Grundlage für das Auto der Zukunft

Die Automobilindustrie profitiert schon heute von Innovationen in den Bereichen autonomes Fahren, datengestützte Dienste und Personalisierung. Da all diese Bereiche auf Daten basieren, bildet die Konnektivität die Grundlage dieser Entwicklung. Man könnte sogar sagen, dass die Konnektivität für die Zukunft des digitalisierten Verkehrs sogar noch wichtiger ist als die Straße selbst.

Das vernetzte Auto enthält bereits jetzt Tausende von Sensoren, die eine Vielzahl von Informationen übertragen. Dazu gehören der Standort und die Umgebung außerhalb des Fahrzeugs, die aktuelle Geschwindigkeit, der Sicherheitszustand des Fahrzeugs, der Kraftstoffverbrauch und die Überwachung zahlreicher physischer Systeme. Es erkennt auch die Insassen mit ihren Vorlieben und häufig gefahrenen Strecken und analysiert das Verhalten und den Gesundheitszustand des Fahrers.

Da sich ein Großteil unseres privaten und beruflichen Lebens im vernetzten Auto abspielen wird, ist es wichtig für die generierten Daten ein angemessenes Schutzniveau festzulegen — sowohl durch einen obligatorischen als auch durch einen zustimmungsbasierten Schutz. Alle Akteure, die auf diese Daten zugreifen, müssen Verfahren zur standardmäßigen Verschlüsselung und Anonymisierung der Daten durchführen. Ebenso sollte das Risiko von Datenverstößen bei der Speicherung auf dem Server oder bei der Übertragung zwischen den Partnern minimiert werden. Als Fahrzeugnutzer und Eigentümer der gesammelten personenbezogenen Daten müssen wir darauf vertrauen können, dass die beteiligten Unternehmen sorgfältig mit unseren Daten umgehen.

Unter Berücksichtigung von Datenschutz, dem Schutz der Privatsphäre und der Datensicherheit, wird der Markt, der um diese Daten entsteht, Milliarden Dollar wert sein. Sie sind für eine Vielzahl von Industriesegmenten von großem Wert, darunter Flottenmanagement- und Versicherungsunternehmen, Kommunen und Notdienste bis hin zu Zahlungsdienstleistern, Kraftstofflieferanten und Energieversorgern sowie für das Gastgewerbe und die Unterhaltungsbranche. Diese Akteure möchten unverzichtbare Dienstleistungen anbieten und datengesteuerte Geschäftsmodelle entwickeln, die auf echten Erkenntnissen über das Fahrzeug und seine Insassen basieren. Am begehrtesten sind diese Daten jedoch bei den Automobilherstellern selbst, um das Fahrerlebnis zu optimieren. Um mit diesen erfolgreich zu arbeiten, muss nicht nur die Konnektivität zu jedem dieser Akteure — sowie zu ihren Cloud-basierten Anwendungen und der Datenverarbeitungsinfrastruktur — abgesichert sein, sondern sie muss auch die höchste Ausfallsicherheit und die geringste Latenz aufweisen, um kurze Reaktionszeiten von Millisekunden im fahrenden Fahrzeug zu ermöglichen.

Die Kontrolle der Datenübertragung ist also von entscheidender Bedeutung für die Schaffung digitaler Vermögenswerte auf der Grundlage von Fahrzeugdaten. Die Kontrolle der Datenübertragung kann auf zwei verschiedenen Ebenen erfolgen: auf der Softwareebene (durch Kontrolle des Betriebssystems) und über die Verbindungsinfrastruktur. Unternehmen, die beide Kriterien erfüllen, können den Datenfluss erheblich besser kontrollieren. Ein Unternehmen, das digitale Vermögenswerte mit dem physischen Produkt verknüpft, indem es die Datenübertragung kontrolliert, wird in der digitalen Wirtschaft bestehen. Innovationen im Bereich Datendienste und Mobilitätsdienste sind nur möglich, wenn die Datenströme in und aus dem Auto gesteuert sowie die Sicherheit und Perfomance gewährleistet werden.

Das softwaredefinierte Fahrzeug (SWdV)

Das softwaredefinierte Fahrzeug (SWdV) kann neue Services remote installieren, den Kraftstoffverbrauch optimieren, den Lebenszyklus des Fahrzeugs verlängern und Personalisierungsoptionen durch Software-Updates monetarisieren. Dies ist jedoch nur mit der richtigen Art der Konnektivität möglich.

Der lückenlose Rollout der 5G-Mobilfunktechnologie und LEO-Satelliten-Konnektivitätsdienste werden für diese Entwicklung von entscheidender Bedeutung sein. Dies ist jedoch nur die Oberfläche der umfassenden Konnektivitätsinfrastruktur, die für das Auto der Zukunft erforderlich ist.

Die drahtlosen Netze, die sich mit dem Auto verbinden, müssen auch effektiv mit den digitalen Ressourcen am anderen Ende verbunden sein — etwa mit den Systemen des Automobilherstellers zur Analyse der Motorleistung und der Sicherheit des Fahrzeugs, mit Werkzeugen und mit Verkehrsüberwachungs- und Verkehrsmanagementsystemen. Wichtig sind auch die Verbindungen zu einer Vielzahl von Clouds für verschiedene Funktionen, wie Cloud-basierte Workloads und Big-Data-Analysen, die Speicherung individueller Präferenzen und die Bereitstellung des Infotainmentsystems bis hin zum Rollout kritischer Software-Updates. Ebenso wichtig ist die Bereitstellung von Echtzeitdaten, wie beispielsweise Informationen über verfügbare Ladestationen für Elektrofahrzeuge und die beste Route zu ihnen oder intelligente Parklösungen und die Integration in intelligente Mobilitätsdienste.

Alle diese Dienste werden in Rechenzentren unterschiedlicher Größe und in unterschiedlicher Lage untergebracht sein: Einige in kleinen Edge-Rechenzentren in der Nähe des Fahrzeugstandorts (für Echtzeitanwendungen), andere weiter entfernt und ausgelegt für die Abdeckung größerer Regionen (für weniger zeitkritische Anwendungsfälle). All diese müssen auf intelligente Weise mit den 5G-, LEO- und anderen drahtlosen Netzen verbunden werden, damit die verschiedenen Akteure auf die für ihre Dienste relevanten Daten schnell zugreifen und diese bereitstellen können. Dabei müssen der Datenschutz und die Sicherheit kritischer und personenbezogener Daten stets gewährleistet sein.

Marktdominanz oder Partnerschaftsmodell?

Die Automobilindustrie befindet sich in einer Phase des Umbruchs, die von Innovationen angetrieben wird. Wir sehen wie Automobilhersteller den Weg zum Softwareentwickler einschlagen — wie die Entscheidung von Mercedes oder Volvo, ihre eigenen Betriebssysteme zu entwickeln — und Softwareentwickler wie Apple in den Automobilmarkt einsteigen. Sowohl die klassische Automobilindustrie als auch die Softwarepioniere streben danach, mehr Verantwortung für das gesamte Ökosystem zu übernehmen. Wir werden Beispiele sehen, in denen Akteure eine dominierende Position erlangen, indem sie sowohl die Software als auch die Hardware besitzen und so das gesamte Ökosystem erschaffen. Ein Beispiel dafür ist der erzielte Erfolg von den Apple, mit der Kombination von iOS, dem App Store und der Bereitstellung der Geräte, auf denen diese Software und die Anwendungen genutzt werden können.

Ebenso werden einige Automobilhersteller ausschließlich die physische Plattform für etablierte Software- und Anwendungsanbieter wie Amazon und Blackberry und Chiphersteller wie Nvidia und Qualcomm konstruieren. Wir werden Kooperationsprojekte sehen, bei denen Akteure aus der Hardware- und Softwarewelt zusammenarbeiten, wie beispielsweise die Partnerschaft zwischen Volvo und Google. Autohersteller wie Porsche werden den Zugang zu Funktionen und Systemen für Drittentwickler über Programmierschnittstellen (APIs) öffnen.

Kontrolle der Data Journey im softwaredefinierten Auto

Die beteiligten Akteure ringen um die Kontrolle über die Daten, die Software, die Infrastruktur und schließlich die Kontrolle über die Umgebung, in der das Auto gefahren wird. Nur so kann die Sicherheit und das reibungslose Funktionieren der Systeme gewährleistet werden. Es wird auch Hersteller geben, die zu den Plattformbetreibern der nächsten Generation für Anwendungen und Inhalte werden. Ich erwarte, dass sich die Automobilhersteller zu globalen (Endkunden-) Netzbetreibern entwickeln werden.

Unabhängig von ihrer langfristigen Positionierung auf dem Automobilmarkt müssen alle Akteure ein grundlegendes Problem lösen: Die beste Software genügt nicht, um eine hohe Datenleistung und ein hohes Sicherheitsniveau in einem softwaredefinierten Auto zu gewährleisten, wenn die dahinter liegende Interconnection-Infrastruktur der Aufgabe nicht gewachsen ist. Diese bleibt die Grundlage für die digitale Performance. Ist die Latenz zu hoch, die Verbindung instabil und die Verbindung nicht sicher, kann die beste Software nicht helfen. Jede einzelne Millisekunde zählt, wenn es darum geht, die beste Leistung aus Cloud-basierten oder remote gehosteten Anwendungen herauszuholen. Dies gilt für die vernetzten Autos von heute und wird für die fahrerlosen Autos der Zukunft noch wichtiger sein. Daher werden die Kontrolle der Interconnection-Infrastruktur und die Einrichtung eigener Rechenzentren auf der ganzen Welt für Automobilhersteller, Anwendungsanbieter und Plattformbetreiber von entscheidender Bedeutung sein, um das beste Endnutzererlebnis und die beste Leistung des softwaredefinierten Fahrzeugs zu gewährleisten.

Auf dem Fahrersitz der Konnektivitätsinfrastruktur Platz nehmen

Die ersten Automobilhersteller haben die Bedeutung von vernetzter Konnektivität bereits erkannt und die Initiative ergriffen, um sich mit Interconnection-Plattformen wie Internet Exchanges (IX) zu verbinden. Nicht nur für eine stabilere Internetverbindung durch direkte Interconnection- oder „Peering“-Dienste, sondern auch für Cloud-Konnektivität durch Cloud Exchanges und Cloud Router. Direkte Interconnection bietet außerdem die Möglichkeit, sich intelligent mit Partnern und Anwendungen zu verbinden, indem eine eigene private Interconnection-Umgebung durch Closed User Groups geschaffen wird. Zur Kontrolle der Konnektivität und der Bestimmung der eigenen Interconnection-Konzepte für sich entwickelnde Geschäftsmodelle und Services müssen sich alle Automobilhersteller an der digitalen Infrastruktur beteiligen, die ihre digitalen Autos unterstützt. Die vier entscheidenden Komponenten, um ein integraler Akteur in diesem Milliarden-Dollar-Geschäft zu werden, sind Perfomance, Sicherheit, Flexibilität und Konformität des Datenflusses zum Auto hin und von ihm weg.

Automobilhersteller wollen die Datenreise des vernetzten Autos moderieren. Das wollen aber auch Softwareentwickler, die Betriebssysteme für Autos entwickeln. Gleiches gilt für die Entwickler von intelligenten Mobilitätsdiensten und anderen digitalen Diensten, auf die vom Auto aus zugegriffen wird. Nicht zu vergessen sind die vielen Anwendungen, die im Auto und auf anderen Geräten genutzt werden, wie E-Commerce-Apps oder Musik- und Videostreaming. Die Datenlandschaft ist unglaublich vielfältig. Um bei der Entwicklung des vernetzten Fahrzeugs die Nase vorn zu haben, müssen die OEMs ihre eigenen Abläufe umgestalten und ihre Konnektivitätsinfrastruktur selbst in die Hand nehmen. Dank der Fortschritte bei der Automatisierung der Interconnection und der Entwicklung entsprechender APIs ist dies heute einfacher als je zuvor. Es ist die Aufgabe des Betreibers der Automobilplattform — sei es der Automobilhersteller oder der Entwickler des Betriebssystems — sicherzustellen, dass alle fahrzeugbezogenen Datenübertragungen so sicher, zuverlässig und leistungsstark wie möglich durchgeführt werden. Hier müssen sie einen weiteren Partner einbeziehen: einen Betreiber einer Interconnection-Plattform, der die Beteiligten zusammenbringt, die Datenströme sicher leitet und die Ausfallsicherheit und Performance der Verbindungen zum und vom vernetzten Auto verbessert.